Fachwerkhaus "Storchennest" in Riedstadt- Wolfskehlen |
Auch zwei Burgen früheren Datums in der Gemarkung hat es gegeben. In Zelten oder Bretterbuden werden die Wolfskehler Bürger zu Beginn des 30 jährigen Krieges also sicher nicht gelebt haben. Die Kirche und deren berühmter Altar, den man seit dem vorletzten Jahrhundert im Hessischen Landesmuseum besichtigen kann, deuten darauf hin, dass die Bürger sogar recht wohlhabend waren.
Liest man bei Wikipedia nach, so findet man eine Randnotiz, dass Wolfskehlen 1644 – sprich vier Jahre vor dem Ende des 30 jährigen Kriegs- restlos zerstört wurde. Allerdings überstand die Orgel – wie die Kirche selbst – die Brandschatzungen und Verwüstungen und wurde bis zum Jahre 1787 gespielt. Dies ist ein kleines Wunder, das zu Legenden um den Alter geführt hat.
Wolfskehlen war demnach in der Zeit unmittelbar vor dem Bau des Fachwerkhauses "Storchennest" in einem katastrophalen Zustand. Darüber hinaus war die Bevölkerung dezimiert. Dazu soll die Pest ihr Übriges beigetragen haben.
Wie lange brauchen Menschen, um sich von einem solchen Trauma zu erholen? Genügen 14 Jahre? Wohl eher nicht.
Erstaunlich also, dass in jenen Tagen ein so herrschaftliches Haus wie das "Storchennest" erbaut werden konnte, noch dazu mit einer wertvollen "Kölner (Stuck)-decke". Wie war das möglich? Und vor allem: Was wollten die Erbauer damit zum Ausdruck bringen?
Liest man die Tafel vor den Gebäudekomplex, wird klar, dass dort, wo das heute neu restaurierte Fachwerkhaus zu bestaunen ist, zuvor bereits ein Gutshof gestanden hat, der offenbar einst zur Wohnstatt der Herren von Wolfskehlen gehörte, nachdem deren Burg "Neu-Wolfskehlen"- lange vor dem 30 jährigen Krieg - zerstört worden war.
Doch das hier fokusierte Areal wurde offenbar bereits im 13. Jahrhundert, also lange vor dem Dreißigjährigen Krieg, seitens der Herren von Wolfskehlen verkauft, ging später durch mehrere Hände und gehörte 1660, also zum Zeitpunkt der Errichtung des Fachwerkhauses, der Adelsfamilie von Bobenhausen, die es aufgrund eines Konkurses 1741 dem Landgrafen von Darmstadt übergeben musste. Er verpachtete es an unterschiedliche Pächter bis das Areal schließlich Ende des 18. Jahrhunderts geteilt und verkauft wurde.
Die Pfarrerfamilie Osterod wurde zwischen 1780 und 1801 Eigentümer des Fachwerkhauses und eines kleinen Backsteinhauses (Gesindehaus), das später umgebaut und heute Teil des Ensembles "Storchennest" ist. Eigentümer des nicht mehr existierenden, alten Steinhauses wurde Familie Lerch. Auf diesem Gelände lebt Familie Schäfer, Nachfahren der Familie Lerch. Ob das alte Steinhaus vor dem 30 jährigen Krieg erbaut worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Denkbar ist es schon, weil es durch seine dicken Steinmauern besser gesichert war. Um dieses Haus ranken sich diverse Legenden, die aber nicht Thema meines Eventberichtes sein sollen.
Gehen wir davon aus, dass der Ort Wolfskehlen sich 1648 in einem Zustand befand, wie Grimmelshausen in seinem Gedicht
"Thränen des Vaterlandes" / Anno 1636.
beschreibt:
Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun /
Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret.
Die Türme stehn in Glutt / die Kirch ist umgekehret.
Das Rathauß ligt im Grauß / die Starcken sind zerhaun /
Die Jungfern sind geschänd’t / und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer / Pest / und Tod / der Hertz und Geist durchfähret.
Hir durch die Schantz und Stadt / rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr / als vnser Ströme Flutt /
Von Leichen fast verstopfft / sich langsam fort gedrungen.
Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod /
Was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth
Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen.
Michael Hartmann, der heutige Eigentümer des denkmalgeschützten Ensembles "Storchennest", das aus dem Fachwerkhaus, einem Backsteinhaus, das 1914 vergrößert wurde, sowie einer Scheune und Ställen besteht, hat gemeinsam mit der Architektin Natalie Röder und vielen Fachleuten dieses alte Symbol für einen Neuanfang in einen bewundernswerten Zustand versetzt, der vor allem Respekt vor den Leistungen längst verstorbener Handwerker zum Ausdruck bringt.
All die Räume, die man besichtigen konnte, beeindrucken durch die Tatsache, dass sie - bei aller geglückten Modernität- nicht vergessen lassen, dass man sich in Gebäuden befindet, die eine Menge Freude aber auch Leid in den Zeitläuften gesehen haben. Den Gewölbekeller und einen Teil des Speichers unrestauriert zu lassen, gibt dem Fachwerkhaus etwas Geheimnisvolles, lässt einen Blick in längst vergangene Tage zu. Das ist mehr als nur reizvoll. Es regt die Fantasie an.
In der Scheune trifft moderne Architektur auf alte Bauelemente. Einige Gerätschaften, die einst als Arbeitsmaterial in der Landwirtschaft dienten, wurden als Dekorationsgegenstände im Eingang verwendet und erinnern, ohne übertriebene Nostalgie, an ein Gestern, jedoch anders als Keller und Speicher. Ich interpretiere die ausgestellten Exponate als gekonnt museal sachlich.
Wie sich das Leben der Bewohner im ältesten Haus Wolfskehlens gestaltete, kann man nur vermuten. Protestantisch geprägt, wird es spätestens mit dem Einzug eines evangelischen Pfarrers zunächst ziemlich spartanisch zugegangen sein, trotz des herrschaftlichen Äußeren.
Davon ausgehen kann man, dass sich im Haus zumindest seit dem Einzug der Pfarrerfamilie Osterod Bücher befanden, man vielleicht auch heimlich Georg Büchner las, den im Nachbarort geborenen Schriftsteller und Revolutionär, der 1837 bereits verstorben, lange Zeit zum Tabuthema in dieser Region wurde.
Was man sich für das "Ensemble Storchennest", diesem Symbol eines Neuanfangs nur wünschen kann ist, dass es zukünftig von Kriegen verschont bleibt und den Bewohnern mehr Freude als Leid schenkt:
Ein Haus friedlichen Zusammenlebens, - ein Symbol des Neubeginns- über das Areal hinaus, wäre doch ein schöner Ansatz, oder?
Helga König