Photo Roger Willemsen: ©Anita Affentranger |
Roger Willemsen stellte in diesem Vortrag, ausgehend von seinem 2008 veröffentlichten Buch „Der Knacks“, Beispiele aus dem Bereich Kunst und Literatur der vergangenen 200 Jahre vor, die scheinbar unmerkliche Erscheinungen der Vergänglichkeit enthalten.
Im Katalog „Kunst der Moderne, 1800-1945 im Städel Museum“, den ich heute noch rezensieren werde, hat man Gelegenheit einen Essay Willemsens zu lesen, der den Titel „Das Kind im Knacks“ trägt, das sich mit genau der Thematik befasst, die auch in seinem Vortrag Gegenstand seiner Betrachtung war.
Roger Willemsen sprach wie so oft rasend schnell, ohne Manuskript und dabei überaus amüsant und kurzweilig. Die Fülle an Wissen und die Zusammenhänge, die er in Windeseile herstellte, versetzten mich erneut in Erstaunen. Was ist eigentlich Patina, so seine Frage, die er wortreich beantwortete.
Nicht nur Kunstwerke setzten Patina an, hielten das Vergängliche, beispielsweise den aufwirbelnden Staub der Museumsbesucher fest und veränderten sich dadurch, auch der Mensch werde von Patina überzogen und altere auf diese Weise. Casanova blicke in seinen autobiographischen Betrachtungen an einer Stelle auf den eigenen Verfall und verdichte diesen in einem Satz wie eine Momentaufnahme.
Patina, so wurde in den Aufführungen klar, ist gebunden an das materielle Selbst. Goya brachte es lt. Willemsen auf den Punkt, indem dieser konstatierte, dass die Zeit auch ein Maler sei.
Kunst sei wie alles im Leben dem Verfall ausgeliefert. Wir retten sie, weil sie ein Bestandteil unserer Kultur darstellten, müssten uns aber bewusst sein, dass 200 Jahre alte Gemälde nicht nur die Produkte der Maler, sondern auch solche der Zeit sind, die gewissermaßen das Ihre zu dem Kunstwerk beigetragen haben.
Willemsen wechselte in seinen Reflexionen von Gemälde- auf Romanbetrachtungen, sprach von „Anna Karenina“ auch von „Madame Bovary“ und zeigte hier die eingefrorenen Momente auf, die vor der Phase des Übergangs den Betrachter faszinieren.
Willemsen sprach vom "liebenden Blick", der nach der Phase des Übergangs entstehen kann, wenn der Mensch gewissermaßen Patina angesetzt hat und verdeutlichte hierdurch, dass Patina, der Ausdruck von Vergänglichkeit, keineswegs etwas Negatives sein muss. Man muss den Prozess und all die positiven wie negativen Erfahrungen annehmen, damit dieser "liebende Blick" entstehen kann und sollte genau mit diesem Blick und eben nicht beckmessernd auch alte Bilder betrachten, nicht das Negative der Risse sehen, sondern das Große und Ganze. Dies jedenfalls ist meine gedankliche Konsequenz aus Willemsens Vortrag, der eine gelungene Einladung für einen Besuch des Städel Museums dargestellte.
Helga König
Helga König
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