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Freitag, 16. März 2012

Helga König: Bericht von der Leipziger Buchmesse 2012

Messebericht- Leipziger Buchmesse 2012, von Donnerstag, dem 15.3.2012
Wie bereits im vergangenen Jahr, reiste ich am Donnerstag mit der Bahn von Frankfurt nach Leipzig und war froh um meine Sitzplatzreservierung, denn schon in den frühen Morgenstunden war der Zug  stark frequentiert.  Für alle, die zukünftig mit der Bahn zur Buchmesse nach Leipzig reisen,  empfehle ich, vom Hauptbahnhof aus nicht mit der Straßenbahn zur Messe zu fahren, sondern stattdessen die Privatbahn zu nutzen, da diese innerhalb von 6 Minuten  ihr Ziel erreicht. Sowohl mit dem Taxi  als auch mit der Straßenbahn  dauert es   über 20 Minuten.
Schon morgens um 10. 30 Uhr fanden in den Messehallen  überall  Talks und auch Lesungen statt.  Gleich am Eingang  diskutierte Wolfgang Herles auf dem blauen Sofa mit pausenlos wechselnden Interviewpartnern und  wurde bereits vor der Mittagszeit von einer  großen Zuhörerschar umringt. Ich bedauerte, dass Erika Pluhar erst freitags nach Leipzig kam, denn sie hätte ich gerne bei Herles "live" erlebt.
Dem ersten Talk, dem ich in einem der kleinen Messezelte im großen Glaspavillon  neugierig lauschte, war jener, den ein Moderator mit Dr. Necla Kelek unternahm.  Die Türkin äußerte sich sehr intelligent zu ihrem Buch "Chaos der Kulturen" und machte mich durch ihre Überlegungen so neugierig auf ihren Text, dass ich ihn demnächst lesen und rezensieren werde.
Mein Interesse Martin Walser "in natura" zu erleben, wurde leider nicht erfüllt. Er sollte  laut Messezeltangaben um 17.00 Uhr  sein neues Buch vorstellen. Der Termin wurde  unangekündigt vorverlegt, sodass die Veranstaltung  an mir vorbeiging. Schade.
Zu diesem Zeitpunkt weilte ich in den Messehallen, hörte dort in die eine oder andere Lesung hinein. In unzähligen Messeliteraturcafés fanden Lesungen weniger bekannter Autoren statt.  So viele Cafés hat es übrigens im letzten Jahr  meines Erachtens noch nicht gegeben.  Diese  Begegnungsstätten  schenken dem eigentlich ja eher hektischen Messegeschehen  sehr lobenswerte Ruhepunkte und machen den besonderen Reiz der Leipziger Messe aus.
Zahlreiche kleine Verlage aus dem Osten waren neben den großen  westlichen Verlagen  auch diesmal vertreten. Nicht nur das unterscheidet die Leipziger von der Frankfurter Buchmesse. Der  große Unterschied  ist  die freundliche Aufgeschlossenheit, die  die Leipziger Buchmesse auszeichnet. Das wurde mir am Donnerstag bewusst. 
Bekannte und weniger bekannte  Autoren mischen  sich unter  die Messebesucher, werden interviewt und  stehen immerfort Rede und Antwort.  In Frankfurt  hat man den Eindruck, alle Autoren sind entnervt. In Leipzig  hingegen wirken die Autoren entspannt.
Diese freundliche  Aufgeschlossenheit der Menschen auf der Leipziger Messe  begeistert mich. Ich führe sie auf die Mentalität der Leipziger Veranstalter zurück, deren Kommerzvorstellungen  sich mit den alten Kaufmannstugenden, zu denen auch Freundlichkeit  und Höflichkeit zählen,  noch  bestens zu decken scheinen.  
Nirgendwo habe ich Hochmut erlebt, auch Narzissmus war nicht angesagt.  Dabei  unterstrich  Dr. Helmut  Böttiger, der diesjährige Preisträger des Alfred- Kerr- Preises für Literaturkritik  in seiner Rede, dass gerade die Literaturkritiker und Rezensenten sich  vor narzisstischen Anwandlungen hüten mögen.  Der Text  und nicht der Beurteiler stehen im Vordergrund. Der Kritiker möge sich davor hüten, Privatfehden mit Autoren über die Texte auszutragen. Wie Recht er doch hat.
Dr. Böttger   machte deutlich, dass ein Rezensent in unserer heutigen Welt natürlich nicht nur im stillen Kämmerlein  seine Bücher liest und dort Kritiken anfertigt, sondern auf  Veranstaltungen  mit Autoren, ja der schreibenden Zunft insgesamt  kommuniziert.  Wie ich später nach der Veranstaltung  des Preises der Leipziger Buchmesse 2012 feststellen konnte, besteht genau darin die Normalität.
Ich musste ein wenig lächeln als ich an die überzogenen Vorstellungen der Möchtegernliteraturpäpste  auf der Amazonplattform  dachte und an  ihre täglichen Kriege, die sie dort führen, unfähig zu einem kultivierten Dialog, der im  Literaturbetrieb der realen Welt, zumindest bei Events sich  als so ungemein entspannend erweist.
Das "Kindle" war kein Thema mehr  in Leipzig. Die Angst, die auf der Frankfurter Messe noch spürbar war, hat sich gelegt. Die Liebe zum Haptischen ist ungebrochen. Dies  konnte man all überall an den Ständen beobachten.
Natürlich  habe ich mich bei einigen Verlagen etwas länger aufgehalten und mir überlegt, welche Bücher ich demnächst in Angriff nehmen werde. Drei Dutzend habe ich in die engere Wahl gezogen.
Beim Kaffeetrinken las ich  eine Broschüre, die die Nominierten  des Preises der Leipziger Buchmesse  2012 vorstellte. Dabei machte ich mich auch kundig,  aus welchem Personenkreis sich die Jury zusammensetzt. Die von mir sehr geschätzte Literaturkritikerin Verena Auffermann  gehörte  dazu.
Dass Wolfgang Herrndorf mit  "Sand"  vom Rowohlt  Berlin Verlag zu den Preisträgern zählen wird, war mir fast klar. Dass es für  Anna Katharina Hahn schwer werden würde, ahnte ich,  nicht zuletzt, weil ich davon ausgehe, dass neben dem Kriterium Text, auch immer noch andere Kriterien eine Rolle spielen, da ich vermute, dass die Verlage abwechselnd in den Genuss eines Preisträgers kommen sollen.  Gefallen hat mir die liebenswerte Geste  von Christina Viragh,  die ihren Blumenstrauß an Frau Hahn weiterreichte. Übrigens habe ich Katharina Hahns Buch   mittlerweile zu lesen begonnen und finde es exzellent.
Im Bereich Sachbuch glaubte ich Manfred Geier  würde mit  "Aufklärung. Das europäische Projekt" der Preisträger werden.  Geworden ist es Jörg Baberowski  mit "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt."  Beide Bücher werde ich in den nächsten Monaten lesen, denn beide  Bücher scheinen mir  von großem Erkenntniswert zu sein.
Mein Gesamteindruck  von diesem Tag  ist der, dass  Frankfurt nicht  mehr alleine das Mekka der Buchwelt ist,  sondern dass Leipzig dabei ist aufzuholen.  Die  Messe ist ja  nicht nur  für den Kommerz  wichtig, sondern auch ein Ort   der Kommunikation.  Hier leistet Leipzig Vorbildliches.
Helga König 

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