Wie bereits im vergangenen Jahr, reiste ich am Donnerstag mit der Bahn von Frankfurt nach Leipzig und war froh um meine Sitzplatzreservierung, denn schon in den frühen Morgenstunden war der Zug stark frequentiert. Für alle, die zukünftig mit der Bahn zur Buchmesse nach Leipzig reisen, empfehle ich, vom Hauptbahnhof aus nicht mit der Straßenbahn zur Messe zu fahren, sondern stattdessen die Privatbahn zu nutzen, da diese innerhalb von 6 Minuten ihr Ziel erreicht. Sowohl mit dem Taxi als auch mit der Straßenbahn dauert es über 20 Minuten.
Schon morgens um 10. 30 Uhr fanden in den Messehallen überall Talks und auch Lesungen statt. Gleich am Eingang diskutierte Wolfgang Herles auf dem blauen Sofa mit pausenlos wechselnden Interviewpartnern und wurde bereits vor der Mittagszeit von einer großen Zuhörerschar umringt. Ich bedauerte, dass Erika Pluhar erst freitags nach Leipzig kam, denn sie hätte ich gerne bei Herles "live" erlebt.
Dem ersten Talk, dem ich in einem der kleinen Messezelte im großen Glaspavillon neugierig lauschte, war jener, den ein Moderator mit Dr. Necla Kelek unternahm. Die Türkin äußerte sich sehr intelligent zu ihrem Buch "Chaos der Kulturen" und machte mich durch ihre Überlegungen so neugierig auf ihren Text, dass ich ihn demnächst lesen und rezensieren werde.
Mein Interesse Martin Walser "in natura" zu erleben, wurde leider nicht erfüllt. Er sollte laut Messezeltangaben um 17.00 Uhr sein neues Buch vorstellen. Der Termin wurde unangekündigt vorverlegt, sodass die Veranstaltung an mir vorbeiging. Schade.
Zu diesem Zeitpunkt weilte ich in den Messehallen, hörte dort in die eine oder andere Lesung hinein. In unzähligen Messeliteraturcafés fanden Lesungen weniger bekannter Autoren statt. So viele Cafés hat es übrigens im letzten Jahr meines Erachtens noch nicht gegeben. Diese Begegnungsstätten schenken dem eigentlich ja eher hektischen Messegeschehen sehr lobenswerte Ruhepunkte und machen den besonderen Reiz der Leipziger Messe aus.
Zahlreiche kleine Verlage aus dem Osten waren neben den großen westlichen Verlagen auch diesmal vertreten. Nicht nur das unterscheidet die Leipziger von der Frankfurter Buchmesse. Der große Unterschied ist die freundliche Aufgeschlossenheit, die die Leipziger Buchmesse auszeichnet. Das wurde mir am Donnerstag bewusst.
Bekannte und weniger bekannte Autoren mischen sich unter die Messebesucher, werden interviewt und stehen immerfort Rede und Antwort. In Frankfurt hat man den Eindruck, alle Autoren sind entnervt. In Leipzig hingegen wirken die Autoren entspannt.
Diese freundliche Aufgeschlossenheit der Menschen auf der Leipziger Messe begeistert mich. Ich führe sie auf die Mentalität der Leipziger Veranstalter zurück, deren Kommerzvorstellungen sich mit den alten Kaufmannstugenden, zu denen auch Freundlichkeit und Höflichkeit zählen, noch bestens zu decken scheinen.
Nirgendwo habe ich Hochmut erlebt, auch Narzissmus war nicht angesagt. Dabei unterstrich Dr. Helmut Böttiger, der diesjährige Preisträger des Alfred- Kerr- Preises für Literaturkritik in seiner Rede, dass gerade die Literaturkritiker und Rezensenten sich vor narzisstischen Anwandlungen hüten mögen. Der Text und nicht der Beurteiler stehen im Vordergrund. Der Kritiker möge sich davor hüten, Privatfehden mit Autoren über die Texte auszutragen. Wie Recht er doch hat.
Dr. Böttger machte deutlich, dass ein Rezensent in unserer heutigen Welt natürlich nicht nur im stillen Kämmerlein seine Bücher liest und dort Kritiken anfertigt, sondern auf Veranstaltungen mit Autoren, ja der schreibenden Zunft insgesamt kommuniziert. Wie ich später nach der Veranstaltung des Preises der Leipziger Buchmesse 2012 feststellen konnte, besteht genau darin die Normalität.
Ich musste ein wenig lächeln als ich an die überzogenen Vorstellungen der Möchtegernliteraturpäpste auf der Amazonplattform dachte und an ihre täglichen Kriege, die sie dort führen, unfähig zu einem kultivierten Dialog, der im Literaturbetrieb der realen Welt, zumindest bei Events sich als so ungemein entspannend erweist.
Das "Kindle" war kein Thema mehr in Leipzig. Die Angst, die auf der Frankfurter Messe noch spürbar war, hat sich gelegt. Die Liebe zum Haptischen ist ungebrochen. Dies konnte man all überall an den Ständen beobachten.
Natürlich habe ich mich bei einigen Verlagen etwas länger aufgehalten und mir überlegt, welche Bücher ich demnächst in Angriff nehmen werde. Drei Dutzend habe ich in die engere Wahl gezogen.
Beim Kaffeetrinken las ich eine Broschüre, die die Nominierten des Preises der Leipziger Buchmesse 2012 vorstellte. Dabei machte ich mich auch kundig, aus welchem Personenkreis sich die Jury zusammensetzt. Die von mir sehr geschätzte Literaturkritikerin Verena Auffermann gehörte dazu.
Dass Wolfgang Herrndorf mit "Sand" vom Rowohlt Berlin Verlag zu den Preisträgern zählen wird, war mir fast klar. Dass es für Anna Katharina Hahn schwer werden würde, ahnte ich, nicht zuletzt, weil ich davon ausgehe, dass neben dem Kriterium Text, auch immer noch andere Kriterien eine Rolle spielen, da ich vermute, dass die Verlage abwechselnd in den Genuss eines Preisträgers kommen sollen. Gefallen hat mir die liebenswerte Geste von Christina Viragh, die ihren Blumenstrauß an Frau Hahn weiterreichte. Übrigens habe ich Katharina Hahns Buch mittlerweile zu lesen begonnen und finde es exzellent.
Im Bereich Sachbuch glaubte ich Manfred Geier würde mit "Aufklärung. Das europäische Projekt" der Preisträger werden. Geworden ist es Jörg Baberowski mit "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt." Beide Bücher werde ich in den nächsten Monaten lesen, denn beide Bücher scheinen mir von großem Erkenntniswert zu sein.
Mein Gesamteindruck von diesem Tag ist der, dass Frankfurt nicht mehr alleine das Mekka der Buchwelt ist, sondern dass Leipzig dabei ist aufzuholen. Die Messe ist ja nicht nur für den Kommerz wichtig, sondern auch ein Ort der Kommunikation. Hier leistet Leipzig Vorbildliches.
Helga König
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